Als mein Opa Bukarest eroberte
Der Risslbecher ist Opa-los aufgewachsen. Hans Stecher, der Vater meiner
Muttter, starb bereits im Jahr 1947 mit 53 Jahren an Krebs, und der Vater
meines Vaters, Konrad Kraus aus Neunhof/Lauf, lebte nach meiner Geburt 1951
nur noch ein halbes Jahr.
Hans Stecher musste nicht in den 1. Weltkrieg ziehen, weil er "Herzprobleme"
hatte. Dafür sorgte wahrscheinlich sein Ziehvater, der alte Birzel. Als
gewiefter Schweinehändler, dessen einziges Kind im Jahr 1886 in Nürnberg beim
Militär umgekommen war, wollte er wohl dem Hans dessen Schicksal ersparen.
Ausserdem führte der Hans seit dem Jahr 1915 die Oberrüsselbacher Dreschmaschine
und war deshalb wahrscheinlich u.k. (unabkömmlich) gestellt.
Auch mein Opa Konrad Kraus konnte sich das Kriegsgeschehen von zuhause aus
anschauen - bis zum 25. Januar 1916, als der Kaiser dringlich nach ihm rief:
"Radl, wir brauchen Dich!".
Da war der Opa schon 36 Jahre alt.
Als "ungedienter Landsturmmann" trat er seinen Dienst in Fürth beim Königlich
Bayerischen 6. Feldartillerie-Regiment (FAR), Rekruten-Depot II an. Er wurde
gegen Pocken einmal, gegen Cholera zweimal und gegen Typhus dreimal geimpft und
am 16. März 1916 vereidigt. Da erhielt er auch sein "Putzzeuggeld" und konnte
sich sauber dem Fotografen stellen (siehe Bild links aus Fürth).
Ausgebildet wurde er an der leichten Feldhaubitze 98/09 als "Bedienungsmann".
Die 98/09 benötigte sechs "Bedienungsmänner" und konnte bei einer maximalen
Reichweite von 6300 Metern neben Sprengmunition auch Schrapnells und
Giftgas-Granaten verschießen. Später lernte er auch den Umgang mit der
Mauserpistole.
Am 15. April 1916 war die Ausbildung beendet und er wurde zur 2. Ersatz-Batterie
versetzt. Wenn ihr Batterie und Feldartillerie hört, müsst ihr vor allem an viele
Pferde denken. "Eine Batterie der Feldartillerie ... umfasste etatmäßig fünf
Offiziere, 148 Unteroffiziere/Mannschaften mit 139 Pferden, 17 Fahrzeugen und
sechs Geschützen". siehe wikipedia
Schon am 5. Mai war es mit Opas heimatlicher Gemütlichkeit vorbei. Als "Nachersatz"
wurde er zur Artillerie Munitionskolonne 3 abgestellt. Diese kämpfte seit Anfang
März 1916 als Teil der 11. Bayerischen Infanterie-Division gerade in Verdun.
Die Division, 1915 aufgestellt, wurde zuerst an der Ostfront und dann in Serbien
eingesetzt. Vom 6. Februar bis 1. März wurde sie "als Reserve der OHL" (Oberste
Heeresleitung) an die Westfront verlegt.
Jetzt muss ich erwähnen, dass der Opa ein schmales schwarzes Büchlein mit
sich führte, in das er vor allem die Überweisungen an seine Frau und auch an
seinen Bruder Georg in Nürnberg eintrug. Dieser wiederum überwies ihm z.B.
am 14. August 1916 "einundzwanzig M und fünfundsechzig Pfennig". Aber "geht noch
ab die Pfeife". Wie soll ein anständiger "Kanonier" Krieg ohne Qualm führen?
Das Büchlein beginnt mit der Zugfahrt an die West-Front am 5. Mai 1916. Opa
schaut aus dem Fenster und notiert die Ortschaften, beginnend mit Neustadt/Aisch, Würzburg, Aschaffenburg,
Darmstadt, Saarbrücken. Am 7. Mai hatte er in Völklingen vier Stunden
Aufenthalt. Dann ging es weiter über Diedenhofen in Lothringen nach
Remilly-Aillicourt ("Rimili") von wo aus nach Sedan ("Sedann") marschiert
wurde. Die 11. Bayerische Infanterie-Division lag zu dieser Zeit nördlich von
Verdun bei Avocourt und war in die Kämpfe um die Höhe 304
eingebunden. Im April hatte sie auch am Toten Mann gekämpft.
Zum 15. Mai wurde die osterfahrene Division aus dem Kampf-Geschehen
herausgezogen und war bis zum 19. Juni wieder Reserve der OHL. Am 16. Juni
1916 wurde die Munitionskolonne in Lassigny ("Lussigni") verladen und
über Lüttich und Berlin nach Warschau verfrachtet. Opa notiert: "21. Juni
in Rußland nach 4 Tagen angekommen". Von Warschau "noch 1/2 Tag und Nacht
gefahren und haben in Galolei? Munition gefaßt". Im Gefechtsbericht der
Division hört sich das wie folgt an:
16.05.1916 - 19.06.1916: Reserve der OHL und
Transport nach dem Osten.
Übrigens: Polen war zu dieser Zeit noch geteilt und Warschau lag also
für Opa schon in Rußland.
Jetzt muss ich einen kleinen Abriß der Kriegslage im Juni 1916 einfügen.
Am 21. Februar startete die deutsche Offensive in Verdun. Generalstabschef
Erich von Falkenhayn wollte Frankreich "weißbluten", um dessen Offensiv-
Fähigkeiten zu zerstören (behauptete er jedenfalls nach dem Krieg). Aber es wurde auch
für die deutsche Seite eine „Blutpumpe” und „Knochenmühle”.
Die Alliierten drängten Rußland zu einer entlastenden Offensive, damit
die deutsche Seite zum Abzug von Divisionen von der Westfront genötigt würde.
Am 4. Juni begann der russische General Brussilow mit einer Offensive.
Brussilow hatte die katastrophale russische Kriegsstrategie der Jahre 1914 und 1915
analysiert. Dabei war er zu dem Ergebnis gekommen, das ein tagelanger
Artilleriebeschuß dem Gegner nur zeigte, wo man angreifen würde und dieser
dort seine Reserven zusammenziehen konnte. Stattdessen wies er seine Soldaten
an, ihre Gräben so nahe wie möglich (50 m) an die gegnerischen heranzurücken,
um so einen möglichst kurzen Weg für S t o ß t r u p p s zu schaffen.
Gleichzeitig sollten auf einer Breite von hunderten Kilometern Scheinangriffe
geführt und so der Gegner verwirrt werden. Die an Masse unterlegene Artillerie
sollte vor dem eigentlichen Angriff nur aufgeklärte Ziele, vor allem die
gefährlichen MG-Stellungen, kurz beschießen.
Der Angriff war ein voller Erfolg. Die russischen Truppen mit den
Stoßrichtungen Brest-Litowsk und Lemberg, überrannten die österreichischen
Stellungen in Wolhynien und in der Bukowina. Bis zum 12. Juni sollen bereits
200.000 Österreicher in russische Gefangenschaft geraten sein. Am Ende der
Offensive, am 20. September, waren es 400.000. Dazu kamen 200.000 Tote und
Verwundete. Die deutschen Verluste sollen 375.000 Mann betragen haben.
Brussilow stellte die Offensive ein, weil auch seine Verluste immer größer
wurden und schließlich ebenfalls bei einer Million Mann lagen. Verläßliche
Zahlen gibt es aber nicht.
Als Opa an der Ostfront eintraf, verlief die Front ca. 30 Kilometer hinter
dem wichtigen Eisenbahn-Knotenpunkt Kowel, zwischen den Flüssen Styr und
Stochod. Opa rückte in drei Schritten vor. "Am 5. Juli ein Stück vorgerückt".
Desgleichen am 10. Juli. "15. Juli nach Lokowka". Der Ort liegt ca. 25 Kilomter
leicht nordöstlich von Kowel. Sein ukrainischer Name lautet Lukiwka. "Den 28.
schwer geschossen und haben wir Munition fahren müssen".
An diesem 28. Juli begann Brussilow mit seiner "Schlacht um Kowel" - diesmal
ganz konventionell mit schwerem Beschuss. Ziel war die Eroberung des Kontenpunkts,
aber auch die Entlastung der erfolgreichen Südfront in der Bukowina. Aber die
Offensive scheiterte und wurde am 20. September eingestellt. Man ging wieder
zum Stellungskrieg über.
Opa scheint vom 8. August bis 10. Oktober nicht einsatztauglich gewesen zu sein.
Er schreibt: "Am 8. August zum Pionplatz? abgestellt. Nach Depot Grüwiatkig.
Am 10. Oktober unge.... aus dem Lazarett gegangen zur Kolonne".
Im Gefechtsbericht der 11. Infanterie-Division ist zu den Kämpfen lapidar vermerkt:
Ostfront
19.06.1916 - 27.07.1916: Kämpfe am Styr und Stochod
28.07.1916 - 10.10.1916: Schlacht bei Kowel.
Nebenbei bemerkt: die deutsche Armeeführung übernahm ab Ende
1917 die erfolgreiche Stoßtrupp-Strategie Brussilows.
Durch die Erfolge Brussilows ermuntert, aber gegen den Wunsch der russischen
Armeeführung, trat Rumänien am 17. August 1916, auch auf betreiben Frankreichs,
der Entente bei und marschierte am 27. August in Siebenbürgen ein. Siebenbürgen,
westlich des Karpatenbogens gelegen, war damals Teil Ungarns.
Deshalb wurde die Division am 14. Oktober wieder verladen und es ging Richtung
Ungarn. Am "Samstag früh 9 Uhr" war Start in Kowel. Es ging wahrscheinlich über
Lemberg und um "4 Uhr" notiert Opa "Mezö Laborz erste Ortschaft Ungarn". Die
Fahrt ging bis Hatvan, kurz vor Budapest gelegen. "Hatvan 3/4 10 Uhr abgefahren
15.10.16". Es ging weiter nach Südosten. Opa notiert "Szoltnok 3/4 3 Uhr ab",
"Mezötur" und "Marosborsoc Montag den 16. Oktober früh 6 Uhr 1916". Letzteren Ort
habe ich nicht gefunden, aber er liegt sicherlich am Fluss Maros (deutsch:
Mieresch oder Marosch, rumänisch: Mures).
Von dem von ihm erwähnten "Ilteu-Zam", sind es noch ca. 30 Kilometer bis zum
"Szurduk-Paß", dessen Namen er später notiert hat. "16.10. Mittag ausgeladen".
"Am 30. Oktober war Petrossiny" (ungarisch Petrozseny), noch auf ungarischem
Boden. Anscheinend hat sich die Division entlang der Bahnlinie tief ins
Vulkangebirge vorgekämpft. "Am 14. von Petrossiny vorwärts". Es geht Richtung
Süden nach Targu-Jiu, der ersten Stadt in Rumänien, wo eine Bahnlinie Richtung
Bukarest ihren Ausgangspunkt hat.
Nach der siegreichen Schlacht beginnt die Verfolgung durch die Walachei.
"Am 23. in Nekops übernacht" (habe ich nicht gefunden). "Am 26. Novemb. durch
Stadt Kreober". Dabei kann es sich eigentlich, wegen der Bahnlinie, nur um Craiova
handeln. "Am 30. von Karent ab früh 7 Uhr". Das ist bestimmt Caracat, das
am unteren Alt (Olt) liegt.
Überhaupt sind seine Eintragungen zu der Zeit ziemlich durcheinander. Das
ist wahrscheinlich auch der schnellen "Verfolgung durch die Westwalachei"
geschuldet (siehe unten).
Ich kann deshalb nur die Gefechtsberichte der Munitions-Kolonne 3 (später
umbenannt in Kolonne 137 und zuetzt 37) und der 11. Infanterie-Division anführen:
15.10. - 9.11.16 Grenzkämpfe am Vulkan-Gebirge
10.11. - 14.11.16 Schlacht am Szurduk - Durchbruchsschlacht am Szurduk- und
Vulkan-Paß - (wo auch der spätere "Wüstenfuchs" Rommel als
Leutnant und Zugführer im Württembergischen
Gebirgsbataillon kämpfte und verwundet wurde)
16.11. - 17.11.16 Schlacht von Targu-Jiu
18.11. - 23.11.16 Verfolgung durch die Westwalachei
24.11. - 29.11.16 Kämpfe am unteren Alt (rumänisch: Olt)
1.12. - 5.12.16 Schlacht am Arges oder Argesch (Fluss)
6.12.16 Einnahme von Bukarest
9.12. - 5. 1.17 Verfolgung durch die Ostwalachei"
Fast alle von Opa in Rumänien angeführten Orte kann ich nicht finden. Opa
schreibt: "Am 2. Januar 1917 einen Marsch von 31 Kilometer. Nach 5 Tagen den
7. in Reion angekommen. 25 Kilometer". Er meinte wohl das Raion (Kreis)
Braila, denn er schreibt kurz darauf: "Am 9. Jan. um 4 Uhr in Stadt Braila
angekommen 1917".
Dort muss er ins Lazarett. "Am 16. Januar 1917 ins Lazarett gekommen" und
"Am 28.1.17 mit dem Lazarettzug abgefahren von Braila". In der Stammrolle der
Munitions-Kolonne ist vermerkt: "Am 17.1.17 dem Feldlaz. 5 XX überwiesen.
Am 8.2.17 wegen Nierenentzdg. Res. Laz. Butzbach/Hessen Abtlg. Taunus II
aufgenommen".
„Seine" Munitionskolonne 3 kämpfte noch bis zum 5. Oktober 1917 in Rumänien.
Vom 6.10. bis 15.10.1917 marschierte sie hinter der Isonzo-Front in Italien
auf und half beim Durchbruch durch die Yulischen Alpen. Ab Mai 1918 war sie
in Verdun und in der Champagne eingesetzt.
Für Opa war der Krieg aber erst mal vorbei.
Die Folgen dieses Krieges: Die sieglose rumänische Armee benötigte immer
mehr russische Truppen zur Unterstützung, aber auch diese wurden (noch mit
Opas Hilfe) geschlagen und nach Moldawien zurückgedrängt (Braila liegt an der
Donau, die dort die Grenze zu Moldawien bildet).
Schon an der Eroberung Bukarests war die bulgarische Armee beteiligt, die
unter dem deutschen General Mackensen die Donau überschritten hatte. Fazit:
die rumänische Armee war fast vollständig aufgerieben und die schweren Verluste
der Russen und die nun erheblich verlängerte Frontlinie bis zum Schwarzen
Meer zerstörten die russischen Offensivfähigkeiten. Dagegen war die Besetzung
Rumäniens für die Mittelmächte ein Glücksfall, denn sie konnten nun auf
Erdölfelder, Nahrungsmittel und Bauholz des eroberten Gebietes zugreifen.
Im Lazarettzug: Opa notiert wieder alle Orte, die er durchfährt: Budapest,
Wien, Passau, Regensburg, "Nürnberg von Feucht herein". "Am 8. Februar in
Res. Lazarett Taununs II um 10 Uhr ankommen in Butzbach Oberhessen". Im Laufe
seines Aufenthalts notiert er die Adressen von Kameraden, mit denen er
wahrscheinlich nach dem Krieg in Verbindung bleiben wollte, und, sicher aus
Langeweile, die "Landesfarben in Deutschland Preußen schwarz weiß, Anhalt rot
grün weiß usw.".
Am 18. April war die schöne Zeit vorbei: "zur Garnisonskompanie verteilt
worden in Fürth". Er ist also wieder Teil des 6. Bayer. Feldartillerie-
Regiments, Ersatz-Abteilung II.
"Am 10. Mai von Fürth nach Schweinau, von da nach Frankfurt am Main versetzt.
Freitag abends 9 Uhr ankommen bei Flak-Batterie". In Schweinau war das 8. Bayer.
Feldartillerie-Regiment kaserniert, das ihn anscheinend gleich am nächsten Tag
weiterschickte. Man darf wohl annehmen, dass Opa in Frankfurt eine Ausbildung
an einem Flug-Abwehr-Geschütz oder -Maschinengewehr erhalten hat.
"Am 1. Juni von Frankf. nach Augsburg kommen". Augsburg war der Standort
der bayerischen Flakbatterie 61. Er verblieb dort bis zum 21. Dezember 1917.
Dann wurde er überraschend zum 1. Feldartillerie-Regiment nach München
versetzt. Als man dort den Opa sah, vermaß man ihn sicherheitshalber erst mal.
Denn mit einer Größe von 150 cm wies er nicht direkt das landeshauptstädtische
Gardemaß auf. Und auch sonst waren alle seine Merkmale gewöhnlich.
Immerhin hatte er in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 1918 einen Traum,
den er kurz und kanpp aufschrieb: "Sohn bekommen". Da hatte der Heinrich noch
97 Tage bis er am 30. April "schlüpfte".
"Am 4. Februar 1918 nach Landsberg versetzt worden". In Landsberg war das
9. Feldartillerie-Regiment stationiert, das dem 19. Feldartillerie-Regiment
den Ersatz stellte. Und so wurde seine neue Stammrolle nicht dort, sondern
direkt beim 19. FAR geführt.
Aber so schnell schiessen auch die Bayern nicht. Jedenfalls hielt sich Opa zwischen dem 4. und 16. Februar in Fürth auf, wie sein Feldpost-Brief vom 10. Februar beweist. Der Poststempel ist noch zum Teil (10. FEB), der Text leider gar nicht mehr lesbar. Seine Kameraden und er nutzten den Aufenthalt, um sich dem Fotografen zu stellen, bevor es am 16. Februar wieder an die Front ging.
"Am 16. Februar 1918 von Landsberg zum 19. Rgt versetzt ins Feld"
(8. Batterie). Und wieder beginnt die Fahrt nach Westen. "Am 18.2.18 in
Darmstadt Wurst und Kaffee bekommen. Mainz über Koblenz 1 Uhr". Die weiteren
von Opa notierten Orte, die er am 19. und 20. Juni durchfuhr, konnte ich leider
wieder nicht finden. "Am 24. Febr. von ?Petrieschies? ab an die Front". Aber
Glück gehabt: das Regiment "ruhte" vom 24. Februar bis 12. März hinter der
18. Armee, die die Front bei St. Quentin hielt. Es war die sprichwörtliche
"Ruhe vor dem Sturm", denn am 21. März begann die Große Schlacht von Frankreich
oder die "Somme-Offensive". Sie dauerte bis zum 5. April und erbrachte große
Geländegewinne, die fast bis Amiens reichten.
In der Stammrolle des 19. Feldartillerie-Regiments ist folgendes notiert:
21. 2. - 23. 2. 1918: im Kriegsgebiet West.
24. 2. - 12. 3. 1918: Ruhezeit hinter 18. Armee.
13. 3. - 20. 3. 1918: Stellungskämpfe bei St. Quentin und an der Oise.
Ab 21. 3. 1918: Große Schlacht in Frankreich und zwar:
21. 3. - 22. 3. 1918: Durchbruchsschlacht bei St. Quentin - La Fère.
23. 3. - 24. 3. 1918: Kämpfe beim übergang über die Somme und den
Crozat-Kanal zwischen St. Christ u. Tergnier.
25. 3. - 31. 3. 1918: Verfolgungskämpfe bis Montdidier - Nyon.
1. 4. - 2. 5. 1918: Stellungskämpfe bei Lassigny.
3. 5. - 12. 5. 1918: im Kriegsgebiet.
Opa notiert: "1. - 14. Mai Protzenstellung Gambanin". Das muss wohl in
der Nähe von La Fère gewesen sein. Denn Opa besichtigt die Stadt Tergnier *),
"ein Drümmerhaufen" und "Am 11. Mai in Stadt Laver (La Fère) gewesen".
Aber was ist eine Protzenstellung bzw. was ist eine Protze? Das beantwortet
uns Wikipedia: "Die Protze ist ein einachsiger Karren, der zum Transport
eines Geschützes mit der Lafette verbunden wird. Die Pferde werden vor
der Protze eingespannt... Gleichzeitig konnte auf der Protze ein Teil
der Geschützbedienung aufsitzen".
13. 5. - 26. 5. 1918: Stellungskämpfe am Chemin des Dames.
27. 5. 1918: Erstürmung der Höhen des Chemin des Dames.
Das ist der Beginn der Schlacht an der Aisne und Opa
liegt "am 29. Mai in Lauerstellung ..."
28. 5. - 1. 6. 1918: Verfolgungskämpfe zwischen Oise u. Marne und über
die Vesle bis zur Marne
2. 6. - 13. 6. 1918: Angriffskämpfe westl. und südwestl. Soissons
Unterabschnitt
Dazu notiert Opa: "Am 11.6.18 8 Tote und 8 verwundet.
13.6. 5 Mann verwundet". Das hört sich
nach Treffern der gegnerischen Artillerie an
14. 6. - 17. 7. 1918: Stellungskämpfe zwischen Oise und Marne.
18. 7. - 20. 7. 1918: Abwehrschlacht zwischen Soissons und Reims.
Für letzteren Tag heißt es in der Stammrolle: "20.7.18. Wegen Krankheit
d. Kr. Tr. Abt. Saponay überwiesen". (Kranken Transport Abteilung) Opa
hat sich den rechten Fuß verstaucht und hat wieder Glück, denn der
Heeresbericht vom 21. Juli 1918 berichtet von neuen französischen
Massenangriffen zwischen Aisne und Marne und dem Masseneinsatz von
Panzerwagen. Saponay liegt inmitten dieses Schlamassels. Ach, und der
Heeresbericht vermeldet auch die Ermordung des russischen Zaren.
Opa berichtet: "Am 22. Juli abgefahren" und "Am 27. Juli in Antwerpen
angekommen". Die wenigen Orte, die er bei seiner Fahrt aufgeschrieben hat,
kann ich, bis auf Hirson, nicht finden. Er wird in der Ortskrankenanstalt
Antwerpen, Kaserne 6, bis zum 27. August behandelt und ab dann vorübergehend
bei der 1. Batterie des Bayerischen Feldartillerie Rekruten-Depots 8
"geparkt". Dieses ist zu jener Zeit wohl in Belgien angesiedelt.
"Am 2. September in Depot 8 ankommen".
Am 16. September wird Opa zur 9. Batterie des 23. Feldartillerie-Regiments
versetzt. "Am 15. September 1918 zum 23. Feld. Artl. Rgt. kommen". Das
schickt ihn gleich weiter nach Sebourg. Dort erhält er bis zum 7. Oktober
eine nicht näher erläuterte Ausbildung.
Am 8. Oktober geht es wieder zurück zum Regiment. In der Stammrolle heißt es:
8. 10. - 11. 11. 1918: Rückzugskämpfe zw. Busigny - Maubeuge.
Bei anderen Einheiten, wie z.B. bei der Munitionskolonne 37, heißt es zuletzt
noch:
11. 11. - 15. 12. 1918: Räumung des besetzten Gebietes und Rückmarsch
in die Heimat.
Nichts dergleichen beim 23. Feldartillerie-Regiment. Deshalb kann man nur
vermuten, dass der Rückmarsch nach Augsburg angetreten wurde. Dort, beim
4. Feldartillerie-Regiment, war die Ersatz-Abteilung des 23. FAR.
Der letzte Eintrag von Opa lautet: "Am 6. Dezember in Bödefeld ein Paket
aufgeben". Bödefeld liegt in der Nähe des Wintersportorts Winterberg im
Sauerland. Hat Opa seine "Kriegsbeute" heimgeschickt?
Dann rechnet er die die Überweisungen in die Heimat zusammen und kommt auf
370 Mark. Außer Spesen nix gewesen!
In der Stammrolle unterschrieb Opa folgenden Passus:
Entlassen nach Neunhof Bez. Kdo. Nürnberg. Ist über Versorgungsansprüche
belehrt. 65.- M Entl. & Marschgeld. 1 Marschanzug (Hose, Stiefel, Waffenrock,
Mantel) 1 Garnitur Wäsche erhalten. 23.12.18
Das war der Dank des Vaterlands.
Opa dürfte am Heiligen Abend zuhause angekommen sein. Hoffentlich war sein
Paket schon eingetroffen.
*) über Tergnier:
Nach der Einleitung der Waffenstillstandverhandlungen waren am 7. November
1918 mehrere Kraftfahrzeuge mit der deutschen Verhandlungsdelegation unter
der Leitung von Staatssekretär Matthias Erzberger von La Capelle über
Homblières bei Saint-Quentin auf unwegsamen Straßen unterwegs. Erzberger
war in Begleitung von Kommandant De Bourbon-Busset, Chef des Deuxième Bureau
(Geheimdienst) der französischen 1. Armee. Die Franzosen verschwiegen
den Deutschen das Ziel der Fahrt. Weit und breit stand kein Haus mehr,
nur eine Ruine nach der anderen war zu sehen. Die zerstörten Häuser gaben
im Schimmer des Mondlichtes eine gespenstige Kulisse ab. Kein Lebewesen
weit und breit, nur ein Gleisende war zu erkennen. Unvermittelt hielt der
Wagen um 3 Uhr 45 an.
„Wo sind wir?”, fragte Erzberger.
„In Tergnier”, antwortete Bourbon-Busset.
Erzberger schaute umher.
„Aber hier ist kein einziges Haus”, bemerkte er.
„Ganz richtig, aber hier war vormals eine Stadt”, erwiderte Bourbon-Busset.
Anschließend bestieg die Delegation einen Sonderzug, welcher sie von Tergnier
zur Lichtung von Rethondes bei Compiègne fuhr. Dort wartete Marschall Foch
in einem Eisenbahnwagen, um den Waffenstillstand von 1918 auszuhandeln.
Ternier
Der Waffenstillstand trat am 11. November 1918 in Kraft.
Erzberger wurde am 26. August 1921 ermordet. Die beiden Mörder flüchteten
ins Ausland und wurden 1933 von den Nazis rehabilitiert. 1947 verurteilte
sie das Landgericht Konstanz zu 15 und 12 Jahren Freiheitsstrafe. Aber
schon 1954 kamen die Schurken wieder frei.